Wer hätte gedacht, dass ein kleines Molekül aus Lettland irgendwann Schlagzeilen in den internationalen Sportnachrichten macht? Meldonium, früher ein unscheinbares Medikament für Herzpatienten, ist seit dem Skandal um Maria Sharapova und zahlreiche russische Sportler zum Dauerthema in der Welt des Sports geworden. Doch was ist dieses Mittel eigentlich genau? Wie wirkt es, warum ist es seit 2016 auf der Doping-Liste, und gibt es vielleicht sogar legale Anwendungsmöglichkeiten jenseits des Muskelkaters?
Herkunft und Entwicklung: Wie meldonium zum globalen Thema wurde
Meldonium wurde schon in den 1970er Jahren vom lettischen Wissenschaftler Ivars Kalvins entwickelt, um Herz-Kreislauf-Patienten zu behandeln. Eigentlich sollte es den Energiestoffwechsel der Zellen verbessern, besonders bei Patienten mit Durchblutungsstörungen oder Angina pectoris. Der Wirkstoff ist unter dem Markennamen Mildronat bekannt und wird bis heute in Ländern wie Russland, Lettland und Weißrussland verschrieben. In Westeuropa und Nordamerika macht Meldonium dagegen als Medikament kaum Karriere – bis Skandale im Olympia-Sport, vor allem 2016 und darüber hinaus, das Präparat plötzlich ins Rampenlicht zogen.
Warum die plötzliche Aufmerksamkeit? Das liegt am einzigartigen Wirkprinzip: Meldonium blockiert das Enzym Gamma-Butyrobetain-Hydroxylase, das für die Herstellung von Carnitin notwendig ist, welches beim Fettstoffwechsel eine zentrale Rolle spielt. Dadurch wird weniger Fett zur Energiegewinnung genutzt, was den Körper auf eine kohlenhydratbasierte Energieversorgung schaltet – ein Vorteil bei akuter Belastung und Hypoxie. Viele Ärzte sahen darin vor allem Vorteile für ältere Herzpatienten. Findige Athleten und deren Betreuer jedoch witterten einen Boost für Ausdauer und Erholung.
Nach der Aufnahme auf die WADA-Dopingliste im Januar 2016 war das Mittel aus den russischen und osteuropäischen Spitzenteams nicht mehr wegzudenken – und viele wurden prompt überführt. Bis zu 172 Athleten wurden allein im ersten Jahr des Verbots mit Meldonium im Blut erwischt. Ein kurzer Blick auf die Tabellen zeigt, wie dominant das Thema plötzlich wurde:
| Jahr | Anzahl positiver Fälle (weltweit) | Prominente Fälle |
|---|---|---|
| 2016 | 172 | Maria Sharapova, Eduard Vorganov |
| 2017 | 56 | Alexander Krushelnitsky |
| 2018-2024 | < 20 p.a. | Diverse Biathleten, Leichtathleten |
Ob im Tennis, Biathlon oder den Gewichtsklassen der Olympischen Spiele: Meldonium hat Wellen geschlagen – auch jenseits der sportlichen Verantwortung.
Wirkung: Was meldonium im Körper genau macht
Das besondere an Meldonium ist, dass es Fett und Zucker quasi in den Energiemodus "umprogrammiert". Normalerweise gewinnt unser Körper Energie entweder aus Fett oder Kohlenhydraten, je nach Belastung und Verfügbarkeit. Wer hohe Leistung bringen muss – etwa im Leistungssport – greift vor allem auf schnelle Zuckerreserven zurück. Meldonium blockiert den Abbauweg von Carnitin, wodurch keine langen Fettsäuren mehr für den Energiestoffwechsel bereitgestellt werden. Stattdessen verbrennt der Körper bevorzugt Glukose. Das klingt erstmal wie ein Science-Fiction-Upgrade, hat aber einen ziemlich konkreten Vorteil: Bei großer körperlicher Anstrengung, etwa im Wettkampf oder bei Herzpatienten mit Sauerstoffmangel, schützt das Medikament die Zellen vor Schäden durch einen Sauerstoffmangel (medizinisch: Hypoxie).
Meldonium kann damit den Energiestoffwechsel stabilisieren, Ausschüttung von schädlichen Stoffwechselprodukten verhindern und Zelluntergang bei Stress reduzieren. Praktisch gesehen berichten Sportler von kürzeren Erholungszeiten und mehr Durchhaltevermögen. Auch bei Herzschwäche, Diabetes und nach Herzinfarkten wird es in Osteuropa bis heute angewandt. Allerdings gibt es trotz zahlreicher kleiner Studien, etwa aus Riga, keine eindeutigen Belege für eine leistungssteigernde Wirkung bei gesunden Profisportlern. Internationale Meta-Analysen (wie die von der Universität Kopenhagen 2020) machen klar: Es fehlen große, unabhängige Studien am Menschen, die den sportlichen Nutzen nachweisen. Die "gefühlte Mehrleistung" könnte also oft ein Placebo-Effekt sein.
Was jedoch faktisch gesichert ist: Bei Sauerstoffmangel, etwa bei Herzkranken, kann das Mittel helfen. Das bleibt in Fachkreisen unbestritten. Wettkampforientierte Hobbysportler, die sich einen Boost erhoffen, sollten aber sehr vorsichtig sein. Die Substanz ist auf der Dopingliste und gilt bei Nachweis als schwere Verfehlung gegen die Fair-Play-Regeln. Das sagen übrigens auch viele Teamärzte: Im Freizeitsport bringt Meldonium nichts – und im Profisport kostet es schnell die Karriere.
Risiken, Nebenwirkungen und rechtliche Lage
Sicher ist: Meldonium ist kein Bonbon. Wer sich das Mittel illegal irgendwo im Netz besorgt, geht gesundheitliche Risiken ein. Es können Kopfschmerzen, Blutdruckprobleme, Übelkeit und selten schwere allergische Reaktionen auftreten. Die Datenlage zu Langzeitfolgen bei gesunden Menschen ist dünn. Bei Langzeitgebrauch über Monate hinweg wurden in Studien Unregelmäßigkeiten im Herzrhythmus beobachtet. Auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind möglich, etwa mit Blutdrucksenkern oder Blutverdünnern. Besonders bei Eigenmedikation ohne ärztliche Aufsicht kann das schnell gefährlich werden.
Rein rechtlich ist die Situation klar: In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist Meldonium nicht als Arzneimittel zugelassen. Das Präparat gilt dort rein formal schon beim Besitz als "unerlaubtes Arzneimittel" nach dem Arzneimittelgesetz, und der Import – etwa aus russischen Online-Shops – kann strafbar sein. Im Sportbereich wird es seit 2016 von der Welt Anti-Doping Agentur (WADA) als "Substanz mit erhöhtem Missbrauchspotenzial" geführt – nachgewiesene Einnahme führt zu mehrjährigen Sperren. Für Freizeitnutzer interessiert das meist wenig, aber auch hier kann ein positiver Dopingtest schon mal den Start beim Ironman oder Marathon kosten.
Interessant: In Lettland und Russland gibt es das Mittel ganz offiziell auf Rezept. Wer dort wohnt, bekommt es – etwa nach einem Infarkt – vom Arzt verschrieben. Und: Im ärztlich kontrollierten Rahmen kann es Herzpatienten wirklich Vorteile bringen, vor allem bei chronischer Herzschwäche oder schwerwiegender Koronarerkrankung. Für gesunde Sportler bringt der illegale Griff zur Pillendose dagegen meist nur Ärger, teures Lehrgeld und im Ernstfall Gesundheitsschäden.
Einsatz von Meldonium im Sport: Mythos oder Realität?
Kaum ein anderes Medikament hat in so kurzer Zeit einen derartigen Ruf als "magische Wunderpille" bekommen. Viele Athletinnen und Athleten, die in den Jahren 2015/2016 auffällig wurden, berichteten davon, das Mittel seit Jahren regulär – etwa zur Erholung nach schweren Einheiten – eingesetzt zu haben. Russische Medaillengewinner auf Olympiaebene (vor allem Wintersportler, Biathleten und Eisläufer) gehörten damals zu den auffälligsten Fällen.
Kritiker sprechen dabei von einem regelrechten Systemmissbrauch: In manchen Breitensportvereinen, so wurde damals von ARD und anderen Medien recherchiert, gehörten Meldonium-Tabletten schon fast zur Standartausrüstung vor dem Trainingslager. Ob das gerechtfertigt ist? Die unabhängigen Analysen sind eher zögerlich: Die Leistungen der auffällig Gewordenen waren selten statistisch von denen der "unbehandelten" Sportler zu unterscheiden. Der erfasste Leistungsanstieg lag oft im Bereich der Messunsicherheit.
Punkte, bei denen ein geringer Einfluss möglich erscheint:
- Schnellere Erholung nach intensiven Belastungen (speziell in den ersten 24 Stunden).
- Etwas verringerte Laktatbildung im Blut, was die gefühlte Ermüdung senken könnte.
- Kurzfristige Optimierung des Energiestoffwechsels bei Sauerstoffmangel, vor allem in Höhelagen.
Weniger Vorteil zeigte sich dagegen in klassischen Ausdauersportarten unter Normbedingungen. Radprofis, die mit einem Plus an Wattzahlen gerechnet hatten, bemerkten zum Beispiel oft keine signifikanten Verbesserungen, ebenso wenig Triathleten oder Leichtathleten auf Seehöhe. Die meisten Dopingsünder fielen schlicht durch ihre positive Probe, nicht durch herausragende sportliche Leistungen auf.
Der Mythos einer "Superpille" hält sich dennoch hartnäckig – befördert durch Medien, Spekulationen und Anekdoten der Betroffenen. Was nachgewiesen ist: Meldonium ist nachweisbar und kann bis zu neun Monate nach Absetzen im Urin identifiziert werden. Die Substanz bleibt also sehr lange im Körper, was insbesondere für Profisportler zum Risiko wird, auch wenn sie das Mittel vor Monaten zuletzt eingenommen haben.
Legale Nutzung, Kontroversen und Tipps für den Alltag
Trotz des sportlichen Missbrauchs gibt es legitime Anwendungsgebiete für Meldonium. Das Mittel wird dennoch nicht pauschal verteufelt: In der Kardiologie, also bei echten Herzerkrankungen, ist sein Nutzen gut belegt. Und: Meldonium wird in Lettland weiterhin als rezeptpflichtiges Arzneimittel geführt und ist sogar ein Exportschlager, der jährlich Millionen umsetzt.
Für gesunde Menschen ist die Einnahme dennoch nicht zu empfehlen. Die potenziellen Nebenwirkungen, unklare Langzeitfolgen, rechtliche Risiken und nicht zuletzt die Gefahr einer positiven Dopingprobe sprechen eine zu klare Sprache. Wer an Leistungsgrenzen gehen möchte – ob bei Radrennen, Marathon oder Fitnesswettkampf – setzt besser auf geprüfte, legale Trainingsmethoden und eine solide Erholung. Viele erfahrene Trainer schwören inzwischen wieder auf Klassiker wie Schlafqualität, systematisches Training, gezielte Regeneration und angepasste Ernährung.
- Wichtig: Wer Herzprobleme hat und nach Osteuropa reist, sollte im Ernstfall mit einer ärztlichen Rezeptkopie reisen, um Missverständnisse bei der Heimkehr zu vermeiden.
- Wer zu Nahrungsergänzungsmitteln greift, sollte Produkte mit fragwürdigen Inhaltsstoffen strikt meiden und immer auf offizielle Dopinglisten achten.
- Bei Fragen hilft die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) oder ein seriöser Sportmediziner weiter.
Fakt ist: Meldonium bleibt "der Klassiker aus dem Osten", zu Recht kontrovers und mit vielen Fragezeichen versehen. Wer den Mythos „Superbooster“ entzaubern will, sollte sich den Stand der Forschung anschauen – und dem eigenen Herz-Kreislauf-System mit gesundem Menschenverstand pflegen. Der gläserne Athlet von morgen setzt eh schon mehr auf Prävention als auf fragwürdigen Pillen.
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